Es scheint nicht selbstverständlich, dass abseits der grossen Kunstzentren so leidenschaftlich Gegenwartskunst gesammelt werden könnte. Diese Ausstellung beweist das Gegenteil. Elf Sammler aus der Region Schaffhausen haben diese Ausstellung zusammengetragen und selber eingerichtet. Was sie zeigen, ist ihre höchst persönliche Auswahl. So ist eine Schau aktueller Gegenwartskunst entstanden, die im Rahmen der schweizerischen Ausstellungstätigkeit als Pionierleistung betrachtet werden kann. Wir verdanken sie der Initiative des Konservators Max Freivogel.
Wenn diesmal die Sammler im Mittelpunkt des Ausstellungsgeschehens stehen, so bleiben sie eben doch nur Vermittler; wertvolle, unentbehrliche Vermittler allerdings dank einer völlig unerklärlichen, obsessionnellen Sammlerleidenschaft. Das Entscheidende leisten indessen immer noch die Künstler mit ihrer produktiven schöpferischen Arbeit. Letztlich aber kommt es auf die Zusammenarbeit von Sammler und Künstler an, und diese Ausstellung zeigt aufs schönste die Notwendigkeit und Fruchtbarkeit einer solchen Zusammenarbeit.
Ohne eine mutige, vorbehaltlose Sammlertätigkeit würde der Entwicklung der aktuellen Gegenwartskunst ein wesentlicher Auftrieb fehlen. Wir Betrachter sollten uns merken, dass die Sammler in der neuen Kunst, auch wenn diese nicht auf eine herkömmliche Wertbeständigkeit pocht, Qualitäten erkennen. Mit ihren neuen Inhalten und ihren neuen Vorstellungen von dem, was überhaupt Kunst ist, stellt diese neue Kunst die konventionellen Wertvorstellungen und damit das bürgerliche Selbstverständnis in Frage. Wir jedoch sollten nicht beim Ärgernis stehenbleiben und sollten die Mühe nicht scheuen, von den Sammlern zu lernen, für das Neue ein offenes Auge zu haben.
«Gubler-Syndrom überwunden»
Für Schaffhausen hat aber diese Ausstellung insofern eine besondere Bedeutung, als 1973 drei Stahlrohrplastiken von Erich Hauser zum öffentlichen Ärgernis wurden. Dieses Ärgernis mochte wohl Max Freivogel neben anderem auf den Gedanken gebracht haben, den Schaffhausern Sammler von neuer Kunst aus ihren eigenen Reihen vorzustellen. Zum andern bringt die Ausstellung zum Ausdruck, dass der nachhaltige Einfluss von Max Gublers Malerei in dieser Stadt genügend lange gedauert habe in den fünfziger und sechziger Jahren und dass die Schaffhauser ihr Gubler-Syndrom überwunden haben. Damit soll die Bedeutung Gublers keineswegs herabgemindert, sondern lediglich hervorgehoben werden, dass heute eine jüngere Generation bereit ist, dass künstlerische Klima der Stadt zu bestimmen. Als eindeutige Grenze für den Beginn dieser neuen Kunst wurde die Zeit um 1960 festgelegt - und zwar nicht nur wegen Max Gubler, dessen Spätwerk damals abgeschlossen war - das mag für die besondere künstlerische Situation Schaffhausens wichtig sein -, sondern weil damals tatsächlich innerhalb der modernen Kunst ein entscheidender Umbruch erfolgte. Nach dem Tächismus und abstrakten Expressionismus der fünfziger Jahre, der letzten Phase des Malerischen, trat der Stilpluralismus, ein Wesensmerkmal moderner Kunst überhaupt, in ein radikales Stadium. Die totale Verfügbarkeit über alle möglichen Medien, um künstlerische Willenskundgebungen auszudrücken, trat jetzt in ein breiteres Bewusstsein. Schlag auf Schlag folgten die künstlerischen Innovationen: Pop Art, Neuer Realismus, Objektkunst und schliesslich die prozessuale Kunst, welche die Idee für wichtiger erklärt als die künstlerische Ausführung. Das Neue um jeden Preis und die absolute Verweigerung der Tradition wurden zum künstlerischen Stimulans. Diese neue Kunst will nicht nur gesellschaftsbewusster sein, sondern zugleich die bestehenden gesellschaftlichen Normen umdenken.
Keine amerikanische Pop-Art
Der Begriff dessen, was als neue Kunst zu gelten hat, wurde allerdings nicht allzu eng gefasst. Die ausklingende abstrakte Malerei und Plastik ist noch angetönt in der Sammlung Förderer, welche im Vorraum zu den Ausstellungsräumen gezeigt wird. Die Op Art als übergreifende Bewegung der fünfziger und sechziger Jahre, die noch an die klassische Moderne anknüpft, bildet im grossen Ausstellungssaal den einen Schwerpunkt mit den Sammlungen Forster, Meili, Pflügl und Unger. Die Sammlungen Bosshard, Berger, Mäht, Aries und Roost, die einzeln in den kleineren Ausstellungsräumen ausgestellt sind, konzentrieren sich hingegen kompromisslos auf jene extrem gegenwartsbewussten Richtungen, die sich von der Kunst vor 1960 radikal distanzieren. Mit ihrer inhaltlichen und thematischen Brisanz verhalten sie sich diametral zur Durchschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit der Op Art. Eine annähernd vollständige Übersicht wurde nicht angestrebt, schon deshalb nicht, weil das ausserhalb der Möglichkeit und Absicht der einzelnen Sammler lag. So haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass die amerikanische Pop Art in Schaffhausen keinen Widerhall fand und nicht gasamment wurde.
Schweizer Künstler in der Mehrzahl
Ebenso grosszügig wie der Begriff der modernen Kunst wurde der Begriff des Sammlers interpretiert. Grundsätzlich wollte man verschiedene Typen von Sammlern berücksichtigen, solche von überregionaler, regionaler und lokaler Kunst, wobei die Sammler selbst die Massstäbe setzen. Ihr Interesse richtet sich hauptsächlich auf die regionale Kunst. Bei weitem überwiegen die über vierzig Schweizer Künstler, gefolgt von ungefähr zwölf Deutschen, fünf Italienern, fünf Künstlern aus Paris, zwei aus Österreich - neben einer kleinen Restgruppe anderer Herkunft. Die Nähe zur deutschen Grenze spiegelt sich in der Sammlertätigkeit wider. Extrem Lokales und extrem Internationales kommen selten vor. Bernhard Wüscher ist der einzige Schaffhauser Künstler, Rolf Forster und Carl Wegmann wohnen als einzige in der unmittelbaren Umgebung. Aber auch von den ganz Grossen ist allein Marcel Duchamp vertreten. Als Vaterfigur alles Modernen hat er gerade noch knapp am Rande Platz. Aber trotz dieser verschiedenen Verteilung der Gewichte und trotz oder gerade wegen der Einseitigkeiten der Sammler ist eine abwechslungsreiche, spannungsvolle Ausstellung entstanden, die auf einer inneren Gliederung beruht.
Schaffhauser Einmannschau
Bei der Charakterisierung der einzelnen Sammlungen nehmen wir die Sammlung von Hannes Gnädinger voraus, der sich als einziger vorbehaltlos auf einen Künstler beschränkt, auf den Schaffhauser Bernhard Wüscher.
Obwohl es sich zeigt, dass ein rein lokaler Künstler in seiner Einmannschau und der entsprechenden Übervertretung, zumal wenn er Avantgardistisches und Traditionelles vermischt, den Herausforderungen dieser Ausstellung nicht gewachsen ist, hat er, beziehungsweise sein Sammler, als lokaler Grenz- und Sonderfall seine Berechtigung im Ausstellungskonzept. Ebenfalls eine Ausnahme bildet die Sammlung von Walter M. Förderer, der allerdings Plastiken und Bilder von Schweizern und Ausländern sammelt. Von ihrer geistigen Haltung her gehören diese fünfzig- bis sechzigjährigen Künstler der Zeit vor 1960 an. Doch fällt Förderer, der Architekt, Künstler und Sammler in einer Person ist, das Verdienst zu, in seiner vielfältigen Tätigkeit zum Verständnis für die moderne Kunst in Schaffhausen Wesentliches beigetragen zu haben.
Licht und Bewegung im Wechselsaal
Vorwiegend älter als vierzigjährig sind auch die Künstler der Op Art, die in den Sammlungen Forster, Meili, Pflügl und Unger vertreten sind. Hier wie in der Sammlung Förderer stammen mehr als die Hälfte der Werke von ausländischen, hauptsächlich deutschen und italienischen Künstlern. Unter ihnen zählen der Franzose Morellet und der Deutsche Luther zu den namhaftesten. Ausgehend von der geometrischen Formensprache der konstruktiven Kunst, bewahrt die Op Art noch deren Sinn für Klarheit, Ordnung, Reinheit und für die sparsame Verwendung der bildnerischen Mittel. Hier vereinigt sich meditative Ruhe mit einem optimistisch bejahenden Lebensgefühl. Zukunftsweisend sind andere Eigenschaften: die Op Art verliert ihren Bildcharakter, indem sie als reliefartiges Objekt, zwischen Bild und Plastik stehend, den Wahrnehmungsprozess des Betrachters zum alleinigen Bildinhalt macht. Es entsteht kein statisches Abbild mehr, sondern alles verwandelt sich in Licht und Bewegung, wodurch das materielle Dasein dieser optischen Objekte wieder aufgelöst wird. Die Farbe ist mit Ausnahmen weitgehend ausgeschlossen; Weiss und Schwarz herrschen vor. Glas und andere Materialien treten an Stelle der malerisch aufgetragenen Farbe. Erstaunlich breit ist das Spektrum der optischen Wirkungen, die von der meditativen Verinnerlichung über viele Zwischenstufen bis zur schmerzhaften Aggressivität reichen. Morellet, Simeti und Mauboules auferlegen sich höchste Einfachheit und Verhaltenheit. Aktiver werden Luther, Biasi und Contreras-Burnet, letzterer mit einem Mobile, während Cruz-Diez und Wilding durch den Flimmereffekt die optische Wirkung aufs höchste steigern. Im allgemeinen aber haben die Objekte mit ruhigerer Wirkung den Vorrang. Rolf Forster, Sammler und Künstler zugleich, reiht sich mit seinen Arbeiten in diese optische Kunst, ohne abzufallen. Paul Pflügl mit den interessantesten und qualitativ besten Werken ist wohl der leitende Geist dieser Sammlergruppe. Dennoch hinterlassen alle vier Sammlungen, die sich in der Hängung bruchlos ineinanderfügen, einen ausgewogenen, einheitlichen Gesamteindruck.
Die Sucher des «Neuen»
Anders verhält es sich mit jenen fünf Sammlungen, die sich ausschliesslich der gegenwartsbetonten Kunst zuwenden. Sie unterscheiden sich in der Auswahl der Künstler und in der Qualität der Arbeiten stärker voneinander, weil sich diese Kunst allein durch die Findung von Neuem, durch die Innovation, legitimieren möchte und die Subjektivität auf Kosten der objektiven Ordnungssysteme zum alleinigen Anspruch erhebt. Gemeinsam indessen bevorzugen die Sammler dieser Kunstrichtungen eine jüngere Generation von Schweizer Künstlern, während sie ausländische Künstler nur ausnahmsweise in Betracht ziehen. Peter Bosshard, der in kurzer Zeit eine grosse Sammlung zusammengetragen hat und sich bereits auch in der neuen wilden Malerei umgesehen hat, will die jungen Schweizer Künstler fördern, die nicht so rasch zum Erfolg gekommen sind wie ihr Generationsgenossen in Italien oder Deutschland. Er macht das mit Geschick, weil er einen wachen Sinn für Qualität hat und mit den Galeristen Bob Gysin, Jörg Stummer und Silvia Steiner, welche sich ebenfalls für die jungen Schweizer einsetzen, zusammenarbeitet. Die wildeste Sammelleidenschaft entwickelt Heinz Möhl, der, wie unter einem Zwang stehend, Widersprüchlichstes vereinigt. Neben Grafiken von Duchamp, Arbeiten von anderen ausländischen und arrivierten Schweizer Künstlern wie Meret Oppenheim, Diter Rot, Rolf Iseli sammelt er auch junge unbekannte Schweizer. Einer seiner Geheimtips heisst Jean-Frederic Schnyder. Seiner Freundschaft mit Toni Gerber, Galerist und Künstler in Bern, verdankt er manches. Beachtlich ist auch die Sammlung von Heinz Berger, der die wilde Ausdruckskunst von Martin Disler liebt, daneben aber auch die zarteren poetischen Qualitäten von Helmut Federle, Leo Walz und Rolf Winnewisser zu schätzen weiss. Die kleinere Sammlung von Felix Aries, der sich jüngsten Künstlern zuwendet, ist noch wenig profiliert, während Nikiaus Roost in seiner knappen Auswahl sich auf bekanntere Namen verlässt wie den Bündner H. R. Giger mit seinen Horrorvisionen. Als einziger sammelt er österreichische Künstler, vorab den poetischen Zeichner Günter Brus, der sich auch durch das Wort ausdrückt und sich weitherum einen Namen geschaffen hat. (Bis 15.August.)
Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 19. Juni 1982