Wie mein "Chindsgi" aussieht

Die Grundform des neuen Kindergartens soll möglichst einfach und formal nachvollziehbar sein. Eine gelbe Spielkiste mit einem flachen, blauen Dach und einem weissen Dachaufbau. Zeichnerisch soll jeder Kindergartenschüler die Form erfassen und festhalten können, um mit ein paar Strichen zu zeigen, wie sein «Chindsgi» aussieht.

 

Im Gebäudeeinnern spielten wir mit verschiedenen Raumhöhen und in den einzelnen Raumfolgen wiederum mit einer differenzierten Tageslichtführung. Fenster zum Lüften, Fenster als Ausguck, Fenster als Fassade. Um den Kindern Durchblicke in die verschiedenen Raumabfolgen zu gewähren, wurden die Unterteilungen jeweils nur auf eine Höhe von 160 cm geführt, damit der Blick zur Decke frei bleibt. Weitere Durchblicke sind durch kleine Türfenster möglich.

 

Neben den nutzungsspezifischen Aspekten ging es uns um die Weiterentwicklung des Entwurfs- und Konstruktionsprinzipes unserer begonnenen Serie von Holzbauten mit dem Ziel: Perfektionierung der Details zu einem möglichst einfachen Standardkatalog, um dafür die Freiheit im Gebäudeentwurf zu erhalten.

 

Gebäudekonzept

In der heutigen Zeit gewinnen neue und sinnvolle Gebäudekonzepte immer mehr an Bedeutung. Im vorliegenden Fall nutzten wir als Architekten die Erfahrung und die Synergie in der Zusammenarbeit, die wir bei der Konstruktion von drei Holzhäusern gesammelt haben. Alle Objekte basieren auf dem Prinzip Holzbaurohelemente. Die Holzbaurohelemente beinhalten die Gebäudestatik, erfüllen die bauphysikalischen Anforderungen und sind am fertigen Gebäude innen wie aussen nicht mehr identifizierbar.

 

Neben den einfachen Konstruktionsprinzipien spielte die Ökologie eine weitere, sehr wichtige Rolle in der Projektierung. Zu Schlagworten wurden Begriffe wie passive Sonnennutzung, Baubiologie, energiesparende Bauweise, und immer mehr tauchen ganze Kataloge mit «Baubegrünungen» auf. Beim neuen Kindergarten ermöglicht die gewählte Gebäudeorientierung eine optimale Nutzung der Sonneneinstrahlung als passive Energie. Durch die Positionierung und durch die bewusste Gestaltung der grossen Lichtöffnungen beginnt der Sonneneinfall auf der Ostseite durch die grösste Verglasung am Morgen. Am frühen Nachmittag trifft die Sonne im Sommer nur den durch das Vordach abgeschirmten Teil der Südfassade. Im Winter hingegen erlauben die blätterlosen Bäume einen flachen Sonneneintritt direkt ins Schulzimmer. Im späteren Mittag dringt das Licht durch das erhöhte Oblicht über die Strassenmauer ins Gebäude und wird durch die Deckenschräge in den Schulraum reflektiert.

 

Auf der Nordseite sind nur die notwendigsten Belichtungs- und Belüftungsöffnungen angeordnet. In den Holzrohbauelementen übernehmen schichtweise verleimte Tannenholzbalken die statischen Funktionen. Verkleidungen aus Weichpavatex auf der Aussenseite und Gipskartonplatten auf der Innenseite bilden die Aussenhaut der konstruktiven Teile. Die Hohlräume dieser Elemente sind in der Werkstatt der Rupli-Holzbau-Technik AG in Hallau mit Altpapierflocken aufgefüllt worden. Mit einer Salzimprägnierung ist das Altpapier feuerwiderstandsfähig behandelt worden, und es stabilisiert sich selbst im Hohlraum.

 

Der Wandaufbau veranschaulicht die Verwendung von optimal aufeinander abgestimmten Baumaterialien, um die baubiologischen, die baustatischen und die finanziellen Anforderungen der Bauherrschaft vereinbaren und erfüllen zu können.

 

Funktion Kindergarten

Vom Trottoir führt ein Holzsteg (rollstuhlgängig) zum gedeckten, verandaartigen Vorplatz, welcher ein geschütztes Warten bis zum Schulbeginn erlaubt. Die verglaste Eingangstüre des Kindergartens führt direkt in die Garderobe. Die Anordnung der Sitzbänke erlaubt diesem Raum neben der Funktion als Garderobe eine zusätzliche Funktion als weiterer Spiel- oder Aktionsraum. Diese Raumfolge weist bewusst einen sparsamen Einsatz von Tageslicht auf, um durch die verglasten Oblichter den Hauptschulraum sichtbar zu machen.

 

Die Spielstube mit dem teilweise erhöhten Dachaufbau bezieht das Tageslicht vorwiegend durch die grosse, nach Osten orientierte Glaswand. Damit wird der Raum im Sommer durch die Sonneneinstrahlung nicht übermässig aufgeheizt.

 

Ein schon eher selten gewordener Ausblick auf die ausgedehnten Grünflächen mit Spielanlage, Schlittelhang, Ballspielwiese und Familiengärten präsentiert sich den Schülern durch die raumhohe Fensterfläche. Auf der gegenüberliegenden Raumseite steht, über eine Treppe erreichbar, das Podest für ruhigere Spielmöglichkeiten. Wie ein Erker ragt es aus der Fassade heraus und erlaubt durch die grosse Verglasung den Ausblick auf die Westseite, das heisst im Winter durch blätterlose Bäume bis in die Breite. Ein Ausblick, der normalerweise von der Strasse aus für die Kinder nicht möglich ist, da die zwei Meter hohe Betonmauer jegliche Aussicht von der Strasse aus verunmöglicht. Während meiner Kindergartenzeit im Altbau war es uns immer ein grosses Rätsel, was wohl auf der anderen Mauerseite sein könnte.

 

An der Südwand sind die Arbeitssimse der Kinder angeordnet. Zwei übereinanderliegende Fensterbänder gewähren Ausblicke.

 

Normalerweise wäre nun die Arbeit des Architekten fertig, und die Schulmaterialverwaltung würde mit Normmöbeln die Funktion Kindergarten bis zum Schluss erfüllen. Für uns spielte die Wahl des Möbelprogramms eine wesentliche Rolle. Da das Marktangebot auf diesem Sektor eher dürftig ist, entwickelten wir zusammen mit dem Schreiner Christian Anderegg aus dem Toggenburg ein Kindermöbelprogramm, welches auf bereits bewährte und erprobte Erfahrungen zurückgreift. Anderegg meint, dass ein Stuhl, der aus mehr Teilen als Lehne, Sitz und vier Beinen besteht, ohnehin nichts taugt. Ganz so krass kann man Stuhldesign nicht qualifizieren, aber etwas Wahres ist schon dran, wenn man daran denkt, dass ein Stuhlpreis über die Anzahl der Einzelteil-Produktions- und Montagekosten ermittelt wird. Mit den gleichen Konstruktionsprinzipien gestalteten wir die Treppe auf das Spielpodest, die damit ein Teil der Möblierung wird.

 

Zum Schluss

Die gestellten Anforderungen an die ökologische und biologische Bauweise erfolgte unter Verwendung der entsprechenden Baumaterialien.

 

Dank der präzisen, werkstattgefertigten Holzbauelemente konnte die extrem kurze Bauzeit exakt eingehalten werden.

 

Die Standardisierung im Detail für die Freiheit im Entwurf erwies sich als richtig und wird für kommende Objekte von Beginn weg zum Korsett für den Planer. Wir danken der Bauherrschaft und den beteiligten Unternehmen für die interessante Zusammenarbeit.

 

Die Architekten: Aries, Bührer, Ruf & Partner AG, 8200 Schaffhausen, Felix Aries, dipl. Innenarch./Arch. SWB, Mitarbeiter: Lorenz Aellig

 

Tag der offenen Tür

4./5. September 1992: Freitag: 14 bis 17 Uhr. Samstag: 9 bis 12 Uhr. Offizielle Einweihungsfeier: Eltern und Kinder der drei Kindergartenabteilungen sowie die Quartierbewohner sind zur Teilnahme herzlich eingeladen.

Zu den beiden bereits bestehenden Kindergärten im Geissberg-Quartier ist ein moderner dritter […] hinzugekommen. Mehr Entfaltungsmöglichkeiten für die Kinder und die drei Kindergärtnerinnen Christine Hauser (li), Jacqueline Räss (Mi) und Rosa Keller (re)
Zu den beiden bereits bestehenden Kindergärten im Geissberg-Quartier ist ein moderner dritter […] hinzugekommen. Mehr Entfaltungsmöglichkeiten für die Kinder und die drei Kindergärtnerinnen Christine Hauser (li), Jacqueline Räss (Mi) und Rosa Keller (re)

Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 03. September 1992