Von der Magie eines alten Zunfthauses

Der Name «Rüden» hat sich der jüngeren Schaffhauser Generation vor allem als Kinoname eingeprägt. Erst die rasch voranschreitende Restaurierung und der Umbau zum Bildungszentrum rücken die Bedeutung des Prachtbaus an der Oberstadt allmählich in ein breiteres Bewusstsein. Die Handwerker, welche die dem zweihundertjährigen Zunfthaus in der Vergangenheit zugefügten Zerstörungen beheben und es der neuen Nutzung zufuhren, bewundern täglich von neuem die innere Substanz dieses höchsten Altstadtgebäudes.

Letzte Woche wurde mit der Restaurierung der Rüdenfassade an der Oberstadt begonnen. Der vor genau 100 Jahren entfernte Säulenbalkon ist als Sandsteinkonstruktion wieder ausgeführt worden und liegt montagebereit in St. Margrethen. Er soll dem Haus schon Ende dieses Monats angefügt werden. Im Innern werden zurzeit die Sanitäreinrichtungen, die elektrischen Leitungen und das Heizsystem installiert. Im Dachstock, diesem einmaligen Balkenwerk auf drei Etagen, sind die Hotelzimmer für das Bildungszentrum im Rohbau fertiggestellt. Sie werden durch einen Lift erschlossen, dessen Schacht ebenfalls schon hochgezogen ist. Mit dem Einbau des einst herausgerissenen Treppenlaufs zwischen Parterre und erstem Stock wird noch diese Woche begonnen.

 

Bis Ende dieses Jahres sollen die Hauptbauarbeiten beendet sein, die Betriebsaufnahme durch die Akademie für Fortbildung, sie ist Eigentümerin und Betreiberin der Begegnungsstätte, erfolgt im Frühjahr 1996.

 

Einmalige Lebenschance

Doch was verbirgt sich hinter dieser nüchternen Auflistung? Architekt Felix Aries und Denkmalpfleger Urs Ganter besprechen den Baufortgang Woche für Woche in allen Details, sind sie sich doch bewusst, dass der Bausubstanz des «Rüdens» nur mit grösstem Respekt begegnet werden darf. «Für mich und alle Handwerker ist diese Restauration eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt», ist Felix Aries überzeugt. Die Ergänzung der vorhandenen Substanz stelle so hohe Ansprüche, dass manchmal die Grenzen heutigen handwerklichen Könnens aufgedeckt würden. Urs Ganter beurteilt die Qualität des Hauses gar als «über jeder Schaffhauser Norm». Das Bundesamt für Kultur hat den «Rüden» deshalb zum Baudenkmal von nationaler Bedeutung erklärt, was zusätzliche finanzielle Bundesmittel freimacht.

 

Wettstreit der Zünfte

Wie aber ist dieser Prachtbau entstanden? 1777, zu einer Zeit, als in Frankreich dem alten Feudalregime bereits das Totenglöcklein läutete, entschloss sich die Schaffhauser Krämer- und Rüdenzunft für einen Neubau ihres Zunfthauses an der Oberstadt. Parallel dazu plante auch die Gesellschaft der Kaufleute einen Neubau an der Vordergasse (heute das Haus der «Schaffhauser Nachrichten»). Es kam zu einem Wettstreit bezüglich Grösse und Ausstattung der beiden Zunfthäuser, man suchte sich gegenseitig zu überbieten. Urs Ganter betrachtet das damalige Geschehen als eine Art Euphorie, als letztes Aufbäumen wenige Jahrzehnte bevor die Zünfte endgültig in die Bedeutungslosigkeit absanken.

 

Schulden, die Früchte tragen

Rüdenzunftmeister Johann Ludwig Peyer, zuvor Landvogt im eidgenössisch verwalteten Mendrisio, engagierte neben den besten einheimischen Handwerkern auch Stukkateure aus Italien und dem Tessin, darunter den Meister Carlo Ghezzi aus Lugano, der die prachtvolle Empiredecke im Festsaal schuf. Stadtarchivar Hans Ulrich Wipf hat die faszinierende Baugeschichte des «Rüdens» an Hand von neuentdeckten Dokumenten aus dem Peyerschen Familienarchiv aufgearbeitet und ist dabei auf Dutzende von Namen einheimischer und auswärtiger Handwerker gestossen. Den alten Rechnungen sind auch die Lieferanten der Baumaterialien wie Kalkstein, Sandstein, Gips, Holz und Ziegel zu entnehmen.

 

Dass der Bau die finanziellen Möglichkeiten der Krämer schliesslich sprengte, verwundert nicht. Die Zünfter mussten immer tiefer in die Tasche greifen, für die in ein Amt Gewählten wurde sogar eine Pflichtabgabe zugunsten des Baufonds eingeführt. Das Werk dürfte 1784 beendet gewesen sein, doch lag die endgültige Bauabrechnung erst 1801 vor. Dabei zeigte es sich, dass die Zunft mit 8000 Gulden Schulden ins neue Jahrhundert rutschte.

 

Niedergang und Aufbau

Schon 1862 musste die Krämerzunft den «Rüden» verkaufen. Damit aber begann dessen Niedergang. Dem Umbau zu Gewerbezwecken fielen das Hauptportal und der Saal im Erdgeschoss zum Opfer. Noch 1947 wurde auch im Festsaal im ersten Obergeschoss schwer gesündigt, indem man die Gipsstukkaturwände teilweise herausbrach und unter die prachtvolle Stuckdecke eine zweite Decke hängte. Bis dahin hatten hier zahlreiche Anlässe wie Bälle, Konzerte und Ausstellungen stattgefunden. Um die seither fehlenden Elemente originalgetreu rekonstruieren zu können, sucht Denkmalpfleger Urs Ganter fotografische Dokumente aus der Zeit vor diesem Eingriff (siehe Kasten).

 

Allem zum Trotz ist dieses Bauwerk ein historisches Monument geblieben, das mit dem heutigen Verständnis wieder zu neuem Leben erweckt werden kann. Auch Mediziner, die dem Standort Schaffhausen für ihr Ausbildungszentrum anfänglich skeptisch gegenüberstanden, hätten sich bei einem Augenschein von der Richtigkeit des Entscheides überzeugen lassen, weiss Felix Aries. «Dieses Haus hat eine Magie, der sich niemand entziehen kann», ist er überzeugt, «die darin manifestierte geistige Haltung wird sich auf die künftigen Benutzer übertragen.»

 

Fotografische Dokumente gesucht

Im Zuge der laufenden Restaurierung des Zunfthauses «Zum Rüden» an der Oberstadt in Schaffhausen sollen auch die nur noch teilweise erhaltenen Wandstukkaturen im grossen Saal rekonstruiert werden. Der «Rüden» diente von 1862 bis 1932 als Hotel. Im grossen Ballsaal im ersten Stock fanden zahlreiche Anlässe aller Art statt, vom Ball bis zur Ausstellung. Es ist anzunehmen, dass noch Fotos von solchen Begebenheiten existieren. Die Kantonale Denkmalpflege ist an solchen Dokumenten sehr interessiert, weil sie Hinweise für die Ausstattung des Raumes geben können. Besitzer von fotografischen Aufnahmen aus dem Inneren des «Rüdens» werden gebeten, mit der Denkmalpflege Kontakt aufzunehmen. Die Adresse lautet: Kantonale Denkmalpflege, Beckenstube 11, 8200 Schaffhausen, Telefon 053/82 73 38.

Unterhalb der 1947 eingezogen zweiten Decke wurden die Stuckwände weitgehend zerstört. Sie müssen rekonstruiert werden. (Bild: Max Baumann)
Unterhalb der 1947 eingezogen zweiten Decke wurden die Stuckwände weitgehend zerstört. Sie müssen rekonstruiert werden. (Bild: Max Baumann)
In der Treppenhalle im ersten Stock wird die in den Festsaal hineinragende Orcheterloge wieder aufgebaut. (Bild: Max Baumann)
In der Treppenhalle im ersten Stock wird die in den Festsaal hineinragende Orcheterloge wieder aufgebaut. (Bild: Max Baumann)
Die Empiredecke im Festsaal ist das Werk berühmter Stukkateure aus Italien und aus dem Tessin. (Bild: Max Baumann)
Die Empiredecke im Festsaal ist das Werk berühmter Stukkateure aus Italien und aus dem Tessin. (Bild: Max Baumann)
Gipsermeister Werner Schlatter rekonstruiert fehlende Stukkaturen im Festsaal. (Bild: Max Baumann)
Gipsermeister Werner Schlatter rekonstruiert fehlende Stukkaturen im Festsaal. (Bild: Max Baumann)
Sünden der Vergangenheit. Im Innern des «Rüdens» wartet noch viel Arbeit auf die Handwerker. (Bild: Max Baumann)
Sünden der Vergangenheit. Im Innern des «Rüdens» wartet noch viel Arbeit auf die Handwerker. (Bild: Max Baumann)

Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 08. Juni 1995 von Max Baumann