"Warum haben Sie so gebaut, Herr Aries?"

Fragen an den Architekten Felix Aries, der für den Entwurf und die gestalterische Leitung der Überbauung Rüden-Areal verantwortlich ist.

SN: Herr Aries, bevor wir zum eigentlichen Thema kommen, lassen Sie mich Trauerarbeit leisten: Schade, dass es das Restaurant ABC und das Restaurant Rüden mit dem von Kastanien überdachten Gärtchen nicht mehr gibt, schade auch, dass im Rüden-Areal kein Kino überleben durfte.

 

Felix Aries: Sowohl Cafe wie auch Kino waren einmal vorgesehen. Das Cafe könnte noch immer eingerichtet werden, allein es fand sich niemand, der es betreiben wollte.

 

SN: Warum?

 

Aries: Bedingung ist, nachdem die Bauherrschaft die Infrastrukturen bauen liess, dass der Betreiber die Cafespezifische Einrichtung selber finanziert. Dazu hat sich bis jetzt noch niemand bereit erklärt.

 

SN: Liegt es auch daran, dass das neue Rüden-Areal bei Einbruch der Dämmerung durch Gittertore verschlossen wird und ein Wirt befürchten muss, abends keine Gäste mehr zu haben?

 

Aries: Es stimmt, das Rüden-Areal wird abends geschlossen. Das Areal ist in Privatbesitz, bis auf eine kleine Ausnahme, einen Hof, der sich im Besitz der Einwohnergemeinde Schaffhausen befindet. Es wird oft vergessen, dass es in diesem Areal nicht nur Geschäfte und Büros gibt, sondern auch 22 Wohnungen. Damit ruhiges Wohnen möglich ist, damit nicht nachts Lärm im Hof und in den Durchgängen entsteht, wird das Areal, wie etwa der Garten eines Privathauses, abends geschlossen.

 

Dies wiederum muss aber keinen Einfluss auf die Öffnungszeiten eines Cafes haben. Eingang und Ausgang zum Cafe können über den Gebäudeeingang an der Bahnhofstrasse erfolgen. Sie sehen, es fehlt am Investor und nicht an der Gebäudekonzeption.

 

SN: Warum kein Kino?

 

Aries: Da ist die Sache eindeutig: aus Kostengründen. Man dachte früher einmal daran, einen Kinosaal mit Breitleinwand ins Areal zu integrieren. Das Kino hätte man in den Keller bauen müssen. Rentabilitätsberechnungen und Kinobesucherschätzungen haben ergeben, dass da auf absehbare Zeit kein «Return on investment» zu erwarten gewesen wäre.

 

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit zudem darauf hinweisen, dass es nicht möglich ist, in dieses Areal beliebig viele Nutzungen hineinzupacken.

 

SN: Woran liegt das?

 

Aries: Das liegt an der städtebaulichen Situation des Areals. Es liegt wohl am Rande der Altstadt, aber es gehört zu dem Teil, der dicht überbaut ist, der Höfe und Verbindungsgassen besitzt und wo nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt wird. Bei der Konzeption der Überbauung musste das zwingend berücksichtigt werden.

 

SN: Wer machte Vorschriften?

 

Aries: Immer, wenn in der Altstadt gebaut wird, gibt es eine ganze Reihe von Institutionen, die mitreden. Der Stadtrat, der Stadtbaumeister, der mit der Stadtbildkommission die Aufgabe hat, dafür Sorge zu tragen, dass die typische städtische Gliederung nicht verlorengeht, die kantonalen Instanzen wie Kantonsarchäologe, das Amt für Denkmalpflege und nicht zuletzt der Bauherr selbst. Alle haben Vorstellungen und Wünsche, die schliesslich unter ein Dach gebracht werden müssen oder, wie es beim Rüden

 

Felix Aries: Areal zwingend war: unter mehrere Dächer.

 

SN: Was war die Basis, worauf konnten Sie Ihr Konzept aufbauen?

 

Aries: Damit die Struktur der Altstadt erhalten bleibt, durfte die Überbauung nicht aus einem einzigen Gebäude bestehen. Wir mussten uns an den Brandmauern orientieren. So war gewährleistet, dass das Grundstück mit einzelnen Gebäuden überbaut wird, die, addiert und miteinander in Verbindung gebracht, die vielgliedrige Altstadtstruktur widerspiegeln.

 

Zweitens mussten wir die Struktur der Innenhöfe und der Gässchen übernehmen, das heisst neu interpretieren. Wir konnten die Innenhöfe an anderen Orten anlegen und die Gässchen anders führen, als sie früher verliefen, aber es musste Höfe und Gässchen geben. So blieb die Feinteiligkeit erhalten.

 

Festgelegt waren von vornherein auch die Trauf- und die Firsthöhen der Gebäude. Dadurch wurden sowohl der Bau von Hochhäusern als auch ein Quartier mit einstöckigen Einfamilienhäusern ausgeschlossen. Das Haus Hanselmann an der Schwertstrasse wurde als Bezugsgrösse für Trauf- und Firsthöhen genommen.

 

Zusammen mit den Behörden wurden auch die Dimensionen der Gebäudevolumen festgelegt. Die Volumen der Gebäude durften nicht einheitlich gross werden, sie mussten abgestuft sein.

 

SN: Kann man bei so vielen Vorschriften überhaupt noch bauen?

 

Aries: Natürlich kann man das, aber es ist schwierig und spannend zugleich.

 

SN: Wo war Ihr Ansatzpunkt?

 

Aries: Es mag unwahrscheinlich tönen, doch wir sind in der Konzeption von der Frage ausgegangen: Wie gross sollen die Aussenräume und Höfe werden?

 

SN: Der Hof hinter dem Rüden-Zunfthaus?

 

Aries: Ja. Das ist ganz wichtig. Wir hatten die Auflage, dass die Rüden-Fassade komplett freigestellt wird. Das Zunfthaus soll in Zukunft selbständig dastehen. Damit die Rückfassade zu sehen sein wird, musste ein Hof angelegt werden. Die Grösse dieses Hofes, ein Leerraum quasi, war schliesslich der Beginn der Planung. Daraus ergab sich die Grösse der Gebäude.

 

SN: Sicherlich hatte auch der Grundstückseigentümer Vorstellungen über die Gebäudegrössen.

 

Aries: Selbstverständlich. Die Vorgabe der Deggo damals war: 5300 Quadratmeter Bruttogeschossfläche und ein Bauvolumen von 29 000 Kubikmetern. Diese Werte ergeben sich aus den Renditeberechnungen der Deggo. Architektonisch wurden wenig Vorgaben gemacht.

 

SN: Die städtischen und die kantonalen Vorgaben verhindern vieles, der Bauherr muss an die Rendite seines Kapitals denken. Wer aber denkt an die Menschen, die die Überbauung beleben sollen?

 

Aries: Wir haben unablässig an die Menschen gedacht. Wir haben uns, nachdem die Grösse des Hofes hinter dem Rüden definiert war, zuerst die Fragen gestellt: Wie kommt ein Fussgähger durch die Überbauung? Wie schnell laufe ich durch? Wenn ich drin bin, wie orientiere ich mich? Wir wollten auf keinen Fall eine Hinterhofsituation.

 

Der Fussgänger sollte sich an jedem Ort durch einen schnellen Blick davon vergewissern können, dass er sich zwischen der Schwertstrasse und der Oberstadt aufhält oder dass er sich nahe der Bahnhofstrasse befindet. Deshalb haben wir, nach dem Hof, den Weg festgelegt und dann erst die Gebäude entworfen. Auch dabei haben wir an die Menschen gedacht.

 

SN: Wer die Überbauung Rüden durchquert, sieht zunächst Geschäfte und Büros.

 

Aries: In der Überbauung gibt es, wie schon erwähnt, 22 Wohnungen. Das wird oft gar nicht wahrgenommen. Jetzt kann man in diesem Altstadtquartier wieder modern wohnen. Vor der Neuüberbauung gab es kaum Wohnungen, und von den wenigen Wohnungen, die es gab, waren viele in einem sehr schlechten Zustand.

 

SN: Wo befinden sich die Wohnungen?

 

Aries: Auf dem Rüden-Areal gibt es fünf Gebäude: das Eckhaus Schwertstrasse/Bahnhofstrasse, das Zeilenhaus an der Bahnhofstrasse, das Hinterhaus am Hof gegenüber der Rüden-Rückfassade, das Hofhaus am Hof und den Buchsbaum. Ein weiteres markantes Gebäude ist der Turm mit den Liftanlagen und dem Treppenhaus. Von hier aus werden alle Gebäude zentral erschlossen. In allen Gebäuden - mit Ausnahme des Erschliessungsturms - sind in den oberen Stockwerken Wohnungen. Im Hofhaus wurden über den Räumen des Reisebüros vier Wohnungen gebaut, die dem Gesetz zur Erhaltung günstigen Wohnraums in der Altstadt entsprechen.

 

SN: Kommt von der Bahnhofstrasse nicht viel Lärm?

 

Aries: Die Wohnungen im Zeilenhaus sind alle nach Süden, also nach dem Innenhof orientiert. Zur Bahnhofseite gibt es nur den Erschliessungsgang, eine Art Hausgang, der die Wohnungen von der Bahnhofstrasse abschirmt. Für das Zeilenhaus haben wir zudem als Dachform das Bogendach gewählt. Viele Leute denken, das sei eine architektonische Marotte ohne eigentlichen Zweck. Doch das stimmt nicht. Durch die festgelegten Höhen von Traufe und First ist einzig die Bogenform das Element, welches zusätzlichen Raumgewinn ermöglicht. Durch den Bogen haben wir also mehr Wohnraum und zudem Platz für den erwähnten Erschliessungsgang realisieren können.

 

Die Wohnungen sind alle an guter Lage, ohne Lärmbelästigung und mit Blickrichtung nach Süden. Da sie in den oberen Stockwerken liegen, bieten sie eine phantastische Aussicht auf die Dachlandschaft der Altstadt und, je nach Gebäude und Zimmer, Ausblicke auf den Munot oder den Cholfirstwald.

 

SN: Herr Aries, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Wege im Buchsbaum-Rüden -Areal. Treppen, Gänge mit Schattenmuster, und an der Wand die Feuerleiter. Auf allen Wegen im Rüden-Areal ist der Blick frei auf den Obertor-Turm.
Wege im Buchsbaum-Rüden -Areal. Treppen, Gänge mit Schattenmuster, und an der Wand die Feuerleiter. Auf allen Wegen im Rüden-Areal ist der Blick frei auf den Obertor-Turm.
Felix Aries
Felix Aries

Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 14. März 1995