Bijou der Baukunst wieder in voller Blüte

Die vom Einwobnerverein Altstadt organisierte Besichtigung des ehemaligen Zunfthauses zum Rüden stiess, unmittelbar vorAbschluss der Sanierung, auf riesiges Interesse.

Kurz vor sechs Uhr war am Donnerstag abend in der Oberstadt kaum mehr ein Durchkommen möglich. Über 200 Interessierte hatten sich zur Besichtigung des Hauses zum Rüden versammelt, wo eine Akademie für Fortbildung eingerichtet wird. Da kein Tag der offenen Tür vorgesehen ist, war die vom Einwohnerverein Altstadt gebotene Führung wohl die einzige Gelegenheit, einen Fuss in die historische Baute zu setzen, wie der ob des Riesenandranges sichtlich überwältigte Präsident Bruno Merk bemerkte. Überwältigt waren aber auch die Besucherinnen und Besucher, als sie das eindrucksvolle Bauwerk aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert betraten.

 

Haus mit Ausstrahlung

Noch ist zwar das Erdgeschoss eine einzige Baustelle. Doch bereits der äusserst grosszügig angelegte, elegant geschwungene Doppeltreppenaufgang verspricht Verheissungsvolles, und der Prunksaal im ersten Stock raubt einem schliesslich fast den Atem. Sorgfältig restaurierte, üppige Stukkaturen in kräftigen Pastellfarben an der Decke und den Wänden geben dem ehemaligen Ballsaal mit Orchesterloge ein einzigartiges und lebendiges Gepräge, welches das ganze Gebäude charakterisiert. «Das Wesen des Hauses ist seine Ausstrahlung», meinte auch Denkmalpfleger Urs Ganter, der die Renovation der kulturhistorisch wertvollen Baute begleitet hatte und den Anwesenden deren Geschichte aufrollte.

 

Aus dem Wettbewerb zwischen den Kaufleuten und den Krämern um die Grosse und den Prunk ihres neuen Zunfthauses gingen letztere als Sieger hervor. Dir in unseren Breiten einmaliger «Stadtpalais» übertraf das heute die «Schaffhauser Nachrichten» beherbergende Zunfthaus der Kaufleute bei weitem.

 

Die Krämer hatten allerdings weder Kosten noch Mühe gescheut und einen Architekten aus Norditalien sowie die besten Stukkateure von nah und fern aufgeboten. Ganter: «Damals schlug der Prunkpalast im provinziellen Schaffhausen wie eine Bombe ein.» Im Lauf der Zeit verblich der Glanz jedoch mehr und mehr. Mit dem Umbau zum Geschäftshaus im Jahre 1932 wurden die kunstvollen Stukkaturen unter eine Verschalung verbannt, und die Schaufensterfront liess kaum mehr auf den grossartigen Rest des Hauses schliessen.

 

Kreatives Flickwerk

Hinter der Fassade verbarg sich jedoch ein riesiges Bauvolumen, das den Architekten Felix Aries vor eine gewaltige Herausforderung stellte. Waren grosse Teile der historischen Substanz, auch Parkettböden und Treppentritte, erhalten geblieben, mussten die aus Gips modellierten Verzierungen an den Wänden rekonstruiert werden. Als «kreatives Flickwerk» empfand Aries seine Arbeit, wobei er die intensive Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege anfangs zu Unrecht gefürchtet habe. Das grösste Problem des Umbaus war nämlich die Entscheidung: «Was bleibt alt, und was wird neu?» Daraus entwickelte sich ein Dialog auch zwischen verschiedenen Materialien. «Es war eine spannende Übung, doch ich bin froh, dass sie bald zu Ende ist», resümierte er.

 

Fortbildungszentrum im Juni

Die Renovationsarbeiten werden bis Ende April abgeschlossen sein. Am 1. Juni wird das Seminarzentrum der Stiftung Akademie für Fortbildung offiziell eröffnet. Den künftigen Seminarteilnehmern stehen nebst dem grossen Zunftsaal weitere Schulungs-, Übungs- und Ausstellungsräume zur Verfügung sowie 30 Einzelzimmer, was die Teilnehmer der Besichtigung vom Keller bis unters Dach ausgiebig erkundeten, bevor sie sich dem aus Baugerüsten improvisierten Apéro-Buffet widmeten. Der Einwohnerverein Altstadt, dessen Mitglieder übrigens keine Altstädder sein müssen, feiert nämlich sein 15jähriges Bestehen. (J. K)

Riesig war der Besucherandrang im neu renovierten Haus zum Rüden, wo sich im prunkvollen Festsaal Reben und Blumengirlanden aus Stuck über die reich verzierten Wände und die Decke ranken.
Riesig war der Besucherandrang im neu renovierten Haus zum Rüden, wo sich im prunkvollen Festsaal Reben und Blumengirlanden aus Stuck über die reich verzierten Wände und die Decke ranken.

Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 30. März 1996